Thema: Atlatl
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Alt 25.02.2012, 20:14
Queequeg Queequeg ist offline
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Wie ich versucht habe zu erklären, ist der Bau eines Speerschleudersystems mit unbefiederten Speeren ausgesprochen simpel und aus meiner Sicht hochgradig survival-tauglich, die nötige Erfahrung vorrausgesetzt. Der im direkten Vergleich zum Bogenschießen um ein vielfaches höhere Zeitaufwand zum Erlangen einer effektiven Schußtechnik ist hier aber tatsächlich ein entscheidendes Kriterium (so wie ich das sehe wohl auch einer der Hauptgründe, warum die Speerschleuder mit dem Aufkommen der Agrarkulturen in Vergessenheit geriet).
Deshalb werde an dieser Stelle versuchen meine wichtigsten Erfahrungen bezüglich der Wurftechnik wiederzugeben.

Für das Erlernen einer sauberen Technik, kann ein gutes Verständnis für die Feinheiten der Funktionsweise nur hilfreich sein, deshalb werde ich damit anfangen.
Das Prinzip vom durch Hebelwirkung beschleunigten Geschoss ist leicht zu verstehen und kennt jeder, das am Funktionsprinzip aber ebenso Anteil habende und mit der Funktionsweise vom Bogenschuss vergleichbare Spring-Mass-System ist hier wohl das größere Mysterium:
Beim Wurf wird der elastische Geschoßschaft (aufgrund der Masseträgheit des vorderen Teils) durchgebogen und speichert dabei Energie aus der Wurfbewegung, und zwar genau solange, wie das hintere Ende (geschoben vom Speerschleuderhaken) beschleunigt. An einem bestimmten Punkt (wenn die Geschwindigkeit des hinteren Geschossendes nicht mehr steigt) beginnt der Speer sich wieder zu strecken und gibt dabei die gespeicherte Energie in die Streckbewegung ab. Der technische Kniff liegt jetzt darin, die Kraft dieser Streckbewegung auszunutzen, um das Geschoss sauber nach vorn zu katapultieren.
Anhand dieser Funktionsweise läßt sich nun einiges ableiten, für die Wurftechnik genauso wie für Bauweise. Einen sauberen und kraftvollen Abschuß erhält man durch einen vor allem gleichmäßigen Beschleunigungsweg, technische Lösungsansätze für Hilfsmittel in der Bauweise haben sich interressanterweise schon sehr unterschiedliche herausgebildet. Da sind die Gewichts- und Bannersteine aus Nord- und Mittelamerika, der einseitige "Flügel" an Muldenschleudern aus Papua-Neuguinea oder die von mir aktuell bevorzugten merkwürdig-unaerodynamischen Formen australischer Woomeras – alles (bewiesenermaßen funktionierende) technische Lösungen um mehr Kontrolle über den Abschuss zu ermöglichen.
Für die Wurftechnik habe ich daraus und aus meinen praktischen Erfahrungen ein paar Grundsätze gezogen:

-weites Ausholen bringt nicht nur keinen Kraftzuwachs sondern behindert sogar die gleichmäßige Beschleunigung, eine nur leicht angedeutete Ausholbewegung kann aber durchaus in einen flüssigen Bewegungsablauf eingebaut werden.
-zuviel Krafteinsatz in der ersten Phase der Wurfbewegung führt in der Regel zu einem unsauberen und verfrühten Abschuss, die Wurfbewegung sollte sanft und locker, in einem weiten gleichmäß diagonalen Bogen (mit dem Scheitelpunkt in Richtung des Ziels) geführt werden.

Im Detail sieht meine Wurftechnik ungefähr so aus:
die Ausgangshaltung (für Rechtshänder) ist idealerweise locker aufrecht stehend, das Gewicht auf dem rechten Bein, das linke einen halben Schritt vorgesetzt. Der Wurfarm angewinkelt, die Hand auf Kopfhöhe, mit einer guten Handlänge Platz zwischen Ellenbogen und Rippen. Der linke Arm leicht angewinkelt, das Gewicht des Wurfarms ausbalancierend, aber mit der Hand noch auf Hüfthöhe.
Die Bewegung beginnt damit, daß sich der linke Fuß leicht hebt und einen kleinen Schritt nach vorn macht, dabei wird das Gewicht vom rechten auf das linke Bein verlagert und der Oberkörper nach vorn geschoben. Gleichzeitig hebt sich der linke Arm bis die zugehörige Hand sich etwa auf Brusthöhe befindet. Hier an diesem Punkt setzt die Drehbewegung des Oberkörpers ein. Während der linke Arm eine freistilschwimmartige Bewegung an der linken Körperseite vorbei nach hinten durchführt, schiebt sich die rechte Schulter weit nach vorn und der Wurfarm beginnt sich nach vorn zu strecken. Dabei wird die Speerschleuder, beginnend an der Ausgangsposition hinter der rechten Schulter, in einem weiten Bogen hin zur linken Hüfteseite geführt, wobei der rechte Arm kurz vor Erreichen des idealen Abschusspunktes seine volle Streckung erreicht.
Wichtig ist eine lockere und flüssige Gesamtbewegung, die Streckung des Wurfarms muß sanft beginnen aber kraftvoll durchgeführt werden, das richtige Fingerspitzengefühl hierfür entwickelt man erst mit der Zeit – also nicht gleich aufgeben, wenn die ersten 30 Würfe nach nix aussehen.

Das Schöne an unbefiederten Speeren ist: daß ihr Flugverhalten sehr gut gröbere Fehler in der Wurftechnik aufdeckt. Sehr typisch ist hier für Anfänger, daß die Geschosse schon nach wenigen Metern nach unten abkippen, sich senkrecht in den Boden bohren oder sogar überschlagen. Dieses Flugverhalten resultiert meist aus einer zu früh abgebremsten Bewegung des Wurfarmes. Hier sollte der Werfer sich auf den Versuch konzentrieren, das hintere Ende des Speeres beim Abwurf "weiter nach unten zu drücken" - ist alles "reine Gefühlssache".

So ich hoffe, ich konnte damit vielleicht dem einen oder anderen Interressierten ein klein wenig hilfreich sein, ich jedenfalls habe mit dem Speerschleudern ein Hobby fürs Leben gefunden.


Eine Anmerkung zum verwendbaren Schaftmaterial möchte ich noch machen. Ich weiß, daß es nicht nur möglich sondern häufig auch üblich ist, dickere Kiefern- oder Fichtenstämmchen zu mehreren Schaftrohlingen aufzuspalten. Meine persönlichen Erfahrungen mit diesen Hölzern lassen mich diese Vorgehensweise aber mit skeptischem Blick betrachten. Ich glaube, daß eine möglichst geringe Materialdichte nicht das entscheidende Kriterium bei der Auswahl des Materials sein kann. Ein gutes Verhältnis zwischem geringem Gewicht und gewünschten mechanischen Eigenschaften / Stabilität erreichen (nach meiner Erfahrung mit den mir zur Verfügung stehenden Materialien) weder Fichte noch Kiefer.

Geändert von Queequeg (25.02.2012 um 21:17 Uhr)
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