Thema: Atlatl
Einzelnen Beitrag anzeigen
  #7  
Alt 28.08.2011, 01:13
Queequeg Queequeg ist offline
Anfänger
 
Registriert seit: 27.08.2011
Beiträge: 2
Renommee-Modifikator: 0
Queequeg Stammes Mitglied
Standard

Ich habe mich in den letzten Monaten sehr intensiv mit dem Thema Speerschleuder beschäftigt und möchte meinen aktuellen Stand hier wiedergeben. Grundsätzlich fasziniert mich eine möglichst niedrig-technologische Bauweise und bei meinen Versuchen hat mich das australische Woomera-System deutlich mehr beeinflußt als die Atlatl-Bauweise.

Ich benutze unbefiederte Speere mit einer länge von 2,10m bis 2,90m, dazu zwei gerade, unflexible Schleudern mit kurzen, aus einer natürlichen Gabelung geschnitzen Haken. Die vorrangig genutze Schleuder hat eine Gesamtlänge von 75cm, die Andere, mit einer Länge von 95cm, kommt nur bei den sehr großen Speeren von über 2,60m Länge zum Einsatz. Als Material für beide Komponenten benutze ich aus Gründen der einfachsten Verfügbarkeit Haselnuss. Mit Bambus habe ich kurz experimentiert, es aber als viel zu steif und spröde und damit unbrauchbar für Geschoßschäfte empfunden und wieder beiseite gelegt, demnächst werde ich Eberesche austesten, scheue mich aber noch etwas vor dem ungleich höheren Aufwand für die Begradigung der Äste.

Meine Maximalreichweite mit den Haselnuss-Speeren liegt bei etwa 80m, ab 40m aber scheinen Genauigkeit und Trefferwirkung rapide abzunehmen. Die effektive Reichweite für mich liegt also bei etwa 20-40 Metern, ich schätze aber, daß mit leichten Verbesserungen am Material, ausgefeilter Wurftechnik und sehr viel Übung, effektive Jagdentfernungen von 60m und mehr durchaus im Bereich des Möglichen liegen. Meine durchschnittliche Treffergenauigkeit (nach einem Dutzen Aufwärmwürfen) auf eine ca. 1m große Trefferzone bei einer Entfernung von 30m liegt bei gut 50% mittlerweile, wobei die Trefferwirkung auf diese Entfernung leicht als verheerend bezeichnet werden darf. Trotzdem würde ich mich mit meinen maximal 20 Wurfstunden noch als Anfänger bezeichnen und sehe also noch jede Menge Potenzial zur Verbesserung.

Die Schleuder selbst ist schnell geschnitzt, eine geeignete Gabelung zu finden dauert hier noch am längsten. Beim Bearbeiten der Speere ist der Begradigungsprozeß das Aufwändigste. In der Regel schneide ich meine Äste, begradige sie noch am selben Tag über Holzfeuerglut und lasse sie eine Woche mit Rinde liegen. Zwischendurch schaue ich nach drei-vier Tagen vorbei und korrigiere nötigenfalls Verziehungen nochmals über dem Feuer. Ist die erste Woche rum, schäle ich die Rohlinge und lege sie für ein paar weitere Tage zum Trocknen hin. Dann schnitze ich Nocke und eine ballige Spitze, bearbeite die Schäfte flüchtig mit einem groben Schleifflies, reibe sie ordentlich mit Olivenöl ein und fertig.
Im Not-, also Survival-Fall läßt sich der ganze Trocknungsprozeß aber auch gut überspringen, man muß nur beim Begradigen über der Glut den kompletten Speerschaft leicht durchrösten, auf lange Sicht könnte der dann zwar eher zum Verziehen neigen, für die ersten Tage sollte das Ganze aber funktionstüchtig bleiben.

Jemand der erfahren ist im Bau und Umgang mit der Speerschleuder kann also durchaus innerhalb weniger Stunden und mit einfachsten Mitteln eine hocheffektive Jagdwaffe herstellen, die sich mit einigem Mehraufwand (Jagdspitzen aus Stein, Knochen oder Hartholz) selbst zur Großwildjagd eignen kann.
Und was die Ehrfahrung betrifft, so sehe ich sie bei den meisten Überlebenstechniken sowieso als Grundvorraussetzung für deren erfolgreiche Anwendung an. Ein ungeübter Bogenschütze mag ein Reh auf zehn Meter Entfernung vielleicht treffen, aber wird er es so treffen, daß es nicht mit dem Pfeil im Hintern auf Nimmerwiedersehen im Unterholz verschwindet? eher unwahrscheinlich und grundsätzlich ein Problem das auch erfahrene Bogenschützen betrifft. Ein zweieinhalb Meter langer Speer sollte da eher schon in der Lage sein, ein getroffenes Wild erfolgreich bei der Flucht zu behindern. Soweit ist alles aber nur spekulativ, ich hab nicht vor irgendein armes Viech damit abzuschießen.

Grundsätzlich wollte ich aber noch sagen, daß ich dazu tendiere, die am Threadbeginn angesprochene Survivalsituation, in der Wildnis ohne funktionstüchtiges Schneidwerkzeug, eher als Sure-Death-Situation zu bezeichnen.....ansonsten kann ich jedem nur empfehlen, sich einmal mit dem praktischen Bau von Speeren und Schleuder zu befassen - es gibt hier sehr viel zu entdecken.


AKTUALISIERUNG:

Es ist schon wieder ein ganzes Stück Zeit verstrichen, ich habe viel gebastelt und dazu gelernt, und wo ich gerade zufällig hier rein stolpere, dachte ich mir - höchste Zeit für ein kleines Update.

Nach wie vor favorisiere ich unbefiederte Speere, dafür scheint mir die einfachste Lösung auch nachwievor die beste: natürlich gewachsene Hasel- oder Eschenstangen von etwa 2,30 m bis 2,70 m Länge und einer maximalen Dicke von < 2 cm.
Damit das Geschoss auch ohne Befiederung stabil fliegt, muß eigentlich nur der Schwerpunkt bei schätzungsweise 36-40% der Gesamtlänge, ausgehend von der Geschoßspitze, liegen. Und sowohl Hasel als auch Esche wachsen sehr häufig ganz natürlich so (wobei ich Hasel vor allem wegen der bereits genannten Gründe der einfacheren Verfügbarkeit und des niedrigeren Bearbeitungsaufwandes bevorzuge).
Die einzige andere Möglichkeit, mit der ich halbwegs erfolgreich herumprobiert habe ist: Bambusschäfte mit einem schweren Vorschaft zu versehen um die Längenbalance in den genannten Bereich zu bringen. Die Steifigkeit von Bambus erlaubt einfach mehr Masse im Vorschaftbereich als alle anderen Hölzer die mir zur Verfügung standen, mit den Ergebnissen bin ich trotzdem noch nicht zu 100% zufrieden, aber ich arbeite noch daran. Grundsätzlich hat sich jedenfalls der Erfahrungswert ergeben, daß eine Verlagerung des Längenschwerpunktes von der Geschossmitte hin Richtung Spitze nur relativ schwierig zu bewerkstelligen ist. Der gegenteilige Effekt, also eine Verlagerung des Schwerpunkts von der Spitze hin Richtung Mitte, läßt mit Hilfe leichter Hartholzvorschäfte dagegen vergleichsweise einfach realisieren (ist wohl eher weniger von Nutzen, könnte aber z.B. die Möglichkeit zur Anfertigung atlatl-turnierregel-konformer Speere mit dieser Art Speerschleudersystem bieten).
Was die Bearbeitung der Speerschäfte anbelangt, hat sich eigentlich nur Eines geändert: und zwar habe ich die Trocknungszeit vor dem Schälen von einer Woche auf ein bis zwei Monate Minimum ausgedehnt, um das Risiko eines späteren Sichverziehens zu minimieren.

Die einfachen Stabschleudern mit hölzernem Haken verwende ich allerdings nicht mehr. Nach etwas Herumprobieren bin ich nun vorerst bei der typisch zentral-australischen Woomeraform hängengeblieben, das vergleichweise hohe Gewicht erfordert höheren Krafteinsatz, insgesamt scheinen mir aber Abschußdynamik, Treffsicherheit und allgemeine Handhabung am besten der von mir verwendeten Art von primitivem Geschoss entgegenzukommen.
Ich verwende zur Zeit Schleudern aus Pflaumen- und Ahornholz mit Längen zwischen 70 cm und 85 cm und mit Haken aus Rehbock- und Gemsenhorn. Die Haken sind dabei nur fest mit Sisalschnur umwickelt und die Wickelungen mit Holzleim fixiert.
Der Arbeitsaufwand fällt allerdings schon deutlich höher aus als bei einer Stabschleuder, unter Zuhilfenahme von Hightech-Werkzeugen wie Fuchsschwanz und Hohlbeitel aber immer noch in einer Anzahl von Arbeitsstunden zu bewältigen, die man leicht an einer Hand abzählen kann.

Mehr Wurfpraxis hatte ich natürlich auch, davon ausgehend muß ich sagen, daß ich die von mir oben erwähnten 50%Treffsicherheit auf ein 1 m großes Ziel bei 30 m Entfernung jetzt bei der einen oder anderen sehr guten Serie tatsächlich hin und wieder mal erreiche, vor einem halben Jahr aber war diese Aussage wohl recht übertrieben und muß auf einer klaren Fehleinschätzung meinerseits beruhen.

Geändert von Queequeg (12.02.2012 um 01:10 Uhr)
Mit Zitat antworten